![]() |
||
»RosaWinkelGedenkbuch« NS - Strafverschärfungen & Abschaffung der Strafverfolgung |
||
1871 - Reichsstrafgesetzbuch vom 15. Mai 1871 Am 1. Januar 1872 trat im Deutschen Kaiserreich ein neues Reichsstrafgesetzbuch in Kraft. Der Paragraph 175 erklärte sexuelle [beischlafähnliche] Handlungen zwischen Männern zu einer Straftat: "§ 175: Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von Menschen mit Thieren begangen wird, ist mit Gefängniß zu bestrafen; auch kann auf Verlust der bürgerliche Ehrenrechte erkannt werden."Ursprünglich war das Gesetz als Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund (NdStGB) am 1. Januar 1871 in Kraft getreten. In der Weimarer Republik forderten verschiedene gesellschaftliche Gruppen und politische Parteien, den Paragraphen entweder abzuschaffen oder zu verschärfen, ohne dass es zu einer Reform kam. Während der NS-Zeit wurden zwischen 1935 und 1945 Rund 50.000 Männer nach § 175 verurteilt. Bis zu 15.000 von ihnen wurden in Konzentrationslager deportiert, wo sie den sogenannten rosa-Winkel als Kennzeichen tragen mussten. Tausende von ihnen wurden in den Konzentrationslagern, in den Gaskammern von Bernburg, Pirna-Sonnenstein und andere ermordet oder wurden mit einem 〉 Fallbeil oder Strang hingerichtet. Zur Geschichte des Paragraphen 175 und der Strafverfolgung homosexueller Männer bitte ausführlicher den 〉 Wikipedia Eintrag lesen. 🔎 Kurt Hiller: »§ 175: Die Schmach des Jahrhunderts« 〉 Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V.. |
||
1933 - NS - Gewohnheitsverbechergesetz Das zur Zeit des Nationalsozialismus erlassene Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung beinhaltet eine umfangreiche Bearbeitung des Reichsstrafgesetzbuches mit der Einführung und Neufassung verschiedener Paragraphen. Begleitet wurde es von einem Ausführungsgesetz (RGBl. I S. 1000), mit dem zahlreiche andere Gesetze abgeändert wurden. Die von beiden Artikelgesetzen bewirkten Änderungen im Sinne der NS-Ideologie traten im Wesentlichen am 1. Januar 1934 in Kraft. Ab dem Februar 1934 konnten Homosexuelle, die auch vom Gewohnheitsverbrechergesetz (§ 20a) erfasst wurden, in Preußen nach einer einmaligen Verurteilung in "Vorbeugehaft" genommen werden. Wer daraus wieder freigelassen wurde, konnte polizeilich "überwacht" werden. Diese Überwachung konnte (gestaffelt) ein Verbot des Aufenthalts an bestimmten Örtlichkeiten beinhalten, ein nächtliches Ausgehverbot, ein Umzugsverbot, die Ablieferung eines Hausschlüssels bei der Kriminalpolizei und das Verbot des Besitzes eines Autos oder Motorrades. Nach 1945 wurden nur die Todesstrafe für Gewohnheitsverbrecher sowie die Maßregel der Entmannung aufgehoben. In der DDR wurden die Regelungen für Gewohnheitsverbrecher im Gegensatz zu den anderen Maßregeln als faschistisch abgelehnt. 🔎 Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher; Reichsgesetzblatt Teil I, 1935, Nr. 70 vom 10. Oktober 1936 (pdf) |
||
1934 - Das Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen Das Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen vom 20. Dezember 1934, bekannt unter der Bezeichnung 〉 Heimtückegesetz, stellte die missbräuchliche Benutzung von Abzeichen und Parteiuniformen unter Strafe. Es schränkte darüber hinaus das Recht auf freie Meinungsäußerung ein und kriminalisierte alle kritischen Äußerungen, die angeblich das Wohl des Reiches, das Ansehen der Reichsregierung oder der NSDAP schwer schädigten. Das NS-Heimtückegesetz wurde nicht direkt gegen Homosexuelle eingesetzt, aber es wurde zur Verfolgung von Menschen verwendet, die sich kritisch gegenüber dem NS-Regime äußerten, und einige Homosexuelle fielen unter diese Kategorie. Das Gesetz diente als Instrument zur Unterdrückung jeglicher Kritik und Opposition, und da Homosexualität als "unmoralisch" galt, konnte Kritik an der NS-Politik oder die bloße Zugehörigkeit zur homosexuellen Szene als "heimtückisch" ausgelegt werden, was zur Verfolgung führte. 🔎 Reichsgesetzblatt Teil I, 1934, Nr. 137 vom 20. Dezember 1934 (pdf) |
||
1935 - NS - Verschärfung § 175 - Gesetz zur Änderung des Strafgestzbuchs Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten verschärften sie den § 175 RStGB erheblich. Am 5. Juli 1935 wurde das Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs im Reichsgesetzblatt, Teil I, Nr. 70 verkündet. Nun war nicht einmal mehr die gegenseitige körperliche Berührung notwendig, so genannte "beischlafähnliche Handlungen", um den Straftatbestand zu erfüllen. Blicke und eine "Verletzung des allgemeinen Schamgefühls" reichten aus, um jemanden anzuzeigen. Auch das Strafmaß wurde erhöht. Der neu eingefügte § 175a bestimmte für „erschwerte Fälle“ zwischen einem und zehn Jahren Zuchthaus.
🔎 Reichsgesetzblatt Teil I, 1935, Nr. 70 vom 10. Oktober 1936 (pdf) |
||
1936 - Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung Durch den geheimen Erlaß des Reichsführers SS und Chef der Deutschen Polizei, Heinrich Himmler, wurde am 10. Oktober 1936 wurde im Zuge der Neuorganisation der Kriminalpolizei beim Reichskriminalpolizeiamt die 〉 Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung gegründet. Betr.: Bekämpfung der Homosexualität und der Abteibung.
Dieser Erlass wurde nicht im Reichsministerialblatt der inneren Verwaltung (RMBliV) veröffentlicht, aber an alle Staats- und Kriminalpolizeistellen übermittelt. Ihre Einrichtung war der Auftakt für die nach den Olympischen Spielen 1936 wieder verstärkt einsetzende Homosexuellenverfolgung. Die Aufgabe der Reichszentrale bestand vorrangig in der Sammlung von Daten über Homosexuelle. 〉 Rosa Listen 1940 waren bereits Dateien von 41.000 als homosexuell bestrafter oder verdächtiger Männer gespeichert. Die zentrale Datenspeicherung erlaubte es der Reichszentrale, Maßnahmen zur Verfolgung und Bestrafung von Homosexuellen einzuleiten und zu koordinieren. Dazu stand ihr der Einsatz von mobilen Sondereinheiten zur Verfügung, die auch vollzugsmäßig eingreifen konnten. 🔎 Erlaß des Reichsführers SS und Chef der Deutschen Polizei - Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung vom 10. Oktober 1936 |
||
1940 - Runderlaß Reichssicherheitshauptamt vom 12. Juli 1940 - KZ für "mehrfache Verführer" Reichssicherheitshauptamt 12. Juli 1940 V B 1 Nr. 1143/40
Bild: 🔎 Günter Grau (Hrsg.): Homosexualität in der NS-Zeit. Dokumente einer Diskriminierung und Verfolgung. 2., überarbeitete Auflage. Fischer-TB, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-596-15973-3. S. 311 |
||
1941 - Strafverschärfung mit Todesstrafe "Gesetz zur Änderung des Reichsstrafgesetzbuchs vom 4. September 1941&quo; veröffentlicht im 〉 Reichsgesetzblatt, Teil 1, vom 8. September 1941 Nr. 101, S. 549-550
〉 Hinrichtungen wegen Homosexualität: »Fritz liebte Männer. Und wurde dafür gehängt. Hans, Ernst und Friedrich auch.« 🔎 Gesetz zur Änderung des Reichsstrafgesetzbuchs vom 4. September 1941 vom 4. September 1941 (pdf) |
||
1941 - Erlaß des Führers zur Reinhaltung von SS und Polizei - Todesstrafe gegen Angehörige von SS und Polizei vom 15. November 1941 ![]() Streng vertraulich! Der Führer - Führerhauptquartier, den 15. November 1941 I. Für die Angehörigen der SS und Polizei tritt anstelle der §§ 175 und 175a des
Reichsstrafgesetzbuches folgende Strafbestimmung:
II. Die Erkennung der unter I. angedrohten Strafen ist unabhängig von dem Alter des Täters. III. Die unter I. bezeichneten Straftaten unterliegen der SS-und Polizeisondergerichtsbarkeit nach den für diese geltenden Bestimmungen. Die Zuständigkeit der Wehrmachtsgerichte bleibt unberührt. IV. Die zur Durchführung und Ergänzung dieses Erlasses erforderlichen Vorschriften erläßt der Reichsführer-SS undausrücken fehlt Chef der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern. Der Führer - Gezeichnet Adolf Hitler Bild: 🔎 Beispiel Belehrung über den Erlass des Führers. |
||
1945 - Nach der Befreiung vom Faschismus In beiden deutschen Staaten (DDR & BRD) blieben die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus die Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus verwehrt, sie wurden verschwiegen und blieben unsichtbar. Die Bundesrepublik behielt die NS-Fassung des Paragrafen weitgehend unverändert weiter, während die ebenfalls 1949 gegründete DDR zur alten Fassung zurückkehrte. |
||
1958 - Ergänzung des DDR-Strafrechts Das "Gesetz zur Ergänzung des Strafgesetzbuches", der DDR wurde am 11. Dezember 1957 beschlossen und trat am 1. Januar 1958 in Kraft. Es diente der weiteren Ausgestaltung und Verschärfung des Strafrechts, insbesondere im Hinblick auf politische Straftaten. "Eine Straftat liegt nicht vor, wenn die Handlung zwar dem Wortlaut eines gesetzlichen Tatbestandes entspricht, aber wegen ihrer Geringfügigkeit und mangels schädlicher Folgen für die Deutsche Demokratische Republik, den sozialistischen Aufbau über die Interessen des werktätigen Volkes sowie des einzelnen Bürgers nicht gefährlich ist." Von einvernehmlichen Sexualkontakte unter erwachsenen Männern wurde gemeinhin nicht angenommen, dass sie die gesellschaftliche Ordnung stören oder die Belange der sozialistischen Gesellschaft gefährden könnten. Es wurde bei allen Vorbehalten gegenüber Homosexuellen kein Widerspruch zu den Interessen der Gesellschaft darin gesehen, das geschlechtsreife, gleichgeschlechtlich veranlagte Menschen ihr Sexualverhalten nach ihrer sexuellen Orientierung ausrichten und ihr Sexualleben entsprechend gestalten. Demgemäß trugen einfache homosexuell Handlungen keinen gemeinschaftsgefährlichen Charakter und erforderten kein Eingreifen des Staates mit den Mitteln des Strafrechts. 🔎 Auszug. Gesetzblatt der DDR, 23. Dezember 1957, Teil I, Nr.78 (pdf) |
||
1968 - DDR-Strafrechtsreform - 1989 Aufhebung der Verfolgung Die Strafrechtsreform von 1968 in der DDR führte zu einer grundlegenden Neugestaltung des Strafrechts. Das neue Strafgesetzbuch trat am 1. Juli 1968 in Kraft. Damit verschwand der alte § 175 RStGB aus dem Strafsetzbuch, nicht die Strafbarkeit von homosexuellen Handlungen. In § 151 StGB-DDR wurden erstmals gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen von Erwachsenen mit Jugendlichen sowohl für Frauen als auch für Männer unter Strafe gestellt: § 151
1987: In einem Revisionsverfahren gegen einen einunddreißigjährigen Lehrer, der sexuelle Beziehungen zu einem Siebzehnjährigen unterhielt, wurde das Urteil des Kreisgerichts Leipzig aufgehoben. Im grundsätzlichen Urteil vom 11. August 1987 stellte das Oberste Gericht der DDR fest, dass "Homosexualität ebenso wie Heterosexualität eine Variante des Sexualverhaltens darstellt. Homosexuelle Menschen stehen somit nicht außerhalb der sozialistischen Gesellschaft, und die Bürgerrechte sind ihnen wie allen anderen Bürgern gewährleistet. ... homosexuelle Handlungen mit Jugendlichen kurz vor dem achtzehnten Lebensjahr 'keine wesentlich anderen Folgen bewirken als heterosexuelle Beziehungen zwischen einem Erwachsenen und einem Jugendlichen' ..." Ein Jahr später strich die Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik in ihrem 5. Strafrechtsänderungsgesetz vom 14. Dezember 1988 den § 151 ersatzlos, verkündet im Gesetzblatt der DDDR I Nr. 29. Das Gesetz trat am 1. Juli 1989 in Kraft. (Vgl. Schäfer, Christian: "Widernatürliche Unzucht (§§ 175, 175a, 175b, 182 a.F. StGB), Berliner Wissenschaftsverlag 2006, S. 251 ff) 🔎 Auszug. Gesetzblatt der DDR, 22. Januar 1968, Teil I, Nr.1 (pdf) |
||
2002 - Aufhebung des § 175 in der BRD Symbolisch auf den 17. Mai 2002, ein Zahlenspiel §175 = 17.5., gelegt, beschloss der Bundestag gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP eine Ergänzung zum Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege (NS-AufhG, BGBl. 2002 I S. 2714). Artikel 1
Damit wurden Verurteilungen wegen homosexueller Handlungen und wegen Fahnenflucht in der Zeit des Nationalsozialismus für nichtig erklärt. Obwohl die Rechtsgrundlage bis 1969 die gleiche war blieben die Urteile nach §§ 175, 175a StGB bzw. 151 StGB der DDR unangetastet. 🔎 Auszug. BGBl. 2002 I, S. 2724 (pdf) |
||
22. Juli 2017 - Rehabilitierung der 175'er Das Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen
verurteilten Personen (StrRehaHomG, BGBl. 2017 I S. 2443) und zur Änderung des Einkommensteuergesetzes ist am 21.07.2017
in Kraft getreten. Eine sehr späte, für Betroffene zu späte Gerechtigkeit.
Männer, die wegen einvernehmlichem Sex mit Männern bestraft wurden, werden nun rehabilitiert und haben Anspruch auf
Entschädigung. Aber nicht alle, beispielsweise blieben jene Opfer unberücksichtigt, die in Untersuchungshaft saßen
und nicht verurteilt wurden.
🔎 Auszug. BGBl. 2017 I, S. 2443 (pdf) |