Der Gesprächskreis Homosexualität

der Ev. Advent-Kirche Berlin-Prenzlauer Berg
war Initiator der Gedenktafel für die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus.

Totgeschlagen - Totgeschwiegen -
den homosexuellen Opfern
des Nationalsozialismus

Gedenktafel für die Homosexuellen Opfer - KZ Sachsenhausen

Gedenkbuch

für die bisher namentlich bekannten ermordeten Homosexuellen des KZ Sachsenhausen & des Männerlagers im KZ Ravensbrück

Hans Joachim Otto Diers

Rosa Winkel 32746

Kein Stolperstein vorhanden.
Geboren am: 07.05.1902
Geburtsort: Groß-Flottbeck b. Hamburg
Ermordet am: 21.11.1940
Beisetzungsort:  
Verlegeort:  
Initiator:  
Zum Lebensweg:

Hans Joachim Otto Diers, geboren am 7. Mai 1902 in Groß-Flottbek bei Hamburg, studierte nach dem Abitur an einem humanistischen Gymnasium Rechtswissenschaft in Berlin und Volkswirtschaftslehre in Hamburg und Innsbruck. Zugleich besuchte er die Handelshochschule Berlin und wurde Diplomkaufmann. Seine Eltern, die eher wohlsituiert waren, verließen 1928 Berlin und wanderten als Kaufleute nach Tripolis aus.

… Die Kriminalpolizei ertappte ihn jedenfalls 1930 am Berliner Alexanderplatz in der Bahnhofstoilette mit einem Sexualpartner in flagranti. Er wurde vom Schöffengericht Berlin-Mitte im Oktober 1930 noch nach dem alten § 175 RStGB verurteilt. Obwohl er angab nur wechselseitige Onanie ausgeübt zu haben - der alte § 175 RStGB bestrafte nur sogenannte beischlafsähnliche Handlungen - wurde er verurteilt. Über diesen Vorfall am Alexanderplatz berichtete Hans Diers später: Der Zeuge "[…] war ein Polizei-Wachtmeister, der sich im Berliner Fernbahnhof Alexanderplatz durch Heraussägen eines Stückchens von der Decke des Waschraums, der […] getrennt von den Toiletten lag, einen ständigen Beobachtungsposten geschaffen hatte. Wie der Zeuge damals selbst angab, hat er auf diese Weise bis zu 15 Fällen am Tag je zwei Homosexuelle überführt."
Diers legte gegen das Urteil - …unmittelbar Berufung ein, welche das Landgericht Berlin verwarf. Allerdings wurde ihm statt einer Gefängnisstrafe nun nur noch eine Geldstrafe von 100 RM auferlegt.

Den Sommer 1937 verbrachte Hans Diers in Baden-Baden. … Weil er einem Unter-offizier sexuelle Avancen gemacht hatte und von diesem angezeigt wurde, wurde Hans Diers vom Amtsgericht Baden-Baden am 12. Oktober 1937 zu fünf Wochen Gefängnis verurteilt (§ 175 RStGB). Während dieses Verfahren verhandelt wurde, lernte er in Baden-Baden im Juli oder August 1937 einen 19 Jahre alten Autoschlosser kennen. Diers umwarb den Jüngeren, machte ihm Geschenke und zeigte seine Absichten deutlich. Zurück in Berlin erlebte er eine böse Überraschung. Seine Sommerbekanntschaft versuchte ihn aufgrund seiner Homosexualität zu erpressen. Der von Hans Diers umworbene Mann forderte diesen in einem Brief zu Geldzahlungen auf und drohte ihn und seinen Freund Erich bei Unterlassung auffliegen zulassen... Zu der Erpressung kamen die Anwaltskosten für das Berufungsverfahren, zu dem sich Hans Diers entschied. Nach der gescheiterten Berufung wurde Hans Diers in seiner Berliner Wohnung in der Lichtenstein Allee 3 a, unmittelbar am Neuen See/ Tiergarten gelegen, abgeholt und zum Vollzug der fünfwöchigen Gefängnisstrafe nach Berlin-Moabit verbracht.

Bei seiner Festnahme wurde seine Wohnung durchsucht… Allerdings stellte die Polizei den Erpresserbrief des Autoschlossers aus Baden-Baden fest. Für die Beamten ein Indiz, dass Diers weitere homosexuelle Kontakte eingegangen war, wodurch erneut ein Verfahren gegen ihn eröffnet wurde. Aus der Haft in Berlin-Moabit entließ man ihn daher gar nicht erst, sondern er musste in Untersuchungshaft verbleiben, zunächst in Berlin-Plötzensee, dann in Karlsruhe (Gefängnis II, ab 11. August 1938).
Die Anklage beim Landgericht Karlsruhe lautete auf versuchtes Verbrechen nach § 175 a Ziff. 3 RStGB. Diers war also aufgrund des 1935 neu eingeführten Strafrechtsparagrafen angeklagt, der die Verurteilten mit "Zuchthaus bis zu zehn Jahren" bedrohte.

Diers Entlassungstag wäre im April 1940 gewesen. Im Juli 1939 wurde Dr. Hans Diers aus den Gefängnissen Freiburg i. Br. in das Gefangenenlager Rodgau Dieburg (Hessen/Lager I Dieburg) „überstellt“ und damit in eine Einrichtung des Strafvollzugs verbracht, in der eine rücksichtslose Ausbeutung der Arbeitskraft der Häftlinge betrieben wurde. Weihnachten 1939 stellte Diers ein Gnadengesuch, worin er seine Situation verdeutlichte. Er schrieb: „Einschließlich der nicht anerkannten Untersuchungshaft sowie der in 45 Tage umgewandelten Geldstrafe von RM 4.500,- aus der zweiterwähnten Strafsache habe ich somit eine ununterbrochene Haft von 22 ½ Monaten zu verbüßen, wovon zur Zeit bereits über 19 Monate verstrichen sind. Von der Reststrafe bitte ich hiermit ergebenst, mir einen Teil auf dem Gnadenwege zu erlassen […].“ Dem Bericht aus Rodgau Dieburg folgend, wurde das Gnadengesuch von Dr. Hans Diers am 11. Januar 1940 durch den Oberstaatsanwalt beim Landgericht in Karlsruhe abgelehnt. Hans Diers wurde offenbar nicht mehr in Freiheit entlassen. Als mehrfach vorbestraft wurde er, jetzt zusätzlich klassifiziert als „Gemeingefährlicher“, in das KZ-Sachenhausen eingeliefert. Auf einer Zugangsliste des KZ Sachsenhausen finden wir heute den Namen von Hans Diers.24 Er wurde dort am 11. September 1940 mit der Nummer 32746 registriert, also zu einem Zeitpunkt, an dem homosexuelle Männer in Sachsenhausen gezielt ermordet wurden. Seine Häftlingskategorisierung weist zwei Merkmale auf: „BV/175“, was „Berufsverbrecher und Homosexueller“ bedeutete. Im KZ Sachsenhausen wurde Hans Diers im Block 36 untergebracht, der zum Bereich der sogenannten „Isolierung“ gehörte, einem abgetrennten Lagerbereich, in dem eine generelle Isolierung der homosexuellen Häftlinge vorgenommen wurde…. Hans Diers verstarb etwa zwei Monate nach seiner Einweisung. Auf der Sterbeurkunde ist als Todesursache „Lobärpneumonie nach Lungeninfarkt“ angegeben und in Klammern „akute Herzschwäche“. Datum: 21. November 1940, Morgens um 10:30 Uhr. Seinen Eltern, die die NS-Zeit und den zweiten Weltkrieg überlebten, musste die Urkunde später wie Hohn vorgekommen sein.


Alles erforscht? Was es noch zu tun gibt, zeigt der Lebensweg von Hans Diers.


Autor: Ralf Raber, Essen; Lothar Dönitz, Berlin (2022)

Fußnoten:
1 Ralf Jörg Raber, »Beliebt bei älteren Damen und jüngeren Herren« Paul O’Montis – Biografie eines Vortragskünstlers«, Metropol Verlag, Berlin 2021, S. 9
   Überholt: Ralf Jörg Raber "Der Sänger Paul O'Montis", in Joachim Müller, Andreas Sternweiler, Homosexuelle Männer im KZ Sachsenhausen, Berlin 2000, S. 207-210
2  Ebenda, S. 156
3 Joachim Müller "Die Isolierung der Homosexuellen", Joachim Müller, Andreas Sternweiler, Homosexuelle Männer im KZ Sachsenhausen, Berlin 2000, S. 102-103
4 KZ Sachsenhausen 1936 - 1945: ⟩ Internet-Totenbuch
   Arolsen Archives, Sterbebucheintragungen über verstorbene Häftlinge des Konzentrationslagers Sachsenhausen ⟩ Signatur 10010439
5 1470 KZ-Geheimnisse, Emil Büge, Metropol Verlag, Berlin 2010, S.180 ff
6 Joachim Müller; Ebenda S. 103, 108: "Robert Brink, Bericht als eidesstattliche Erklärung vom 23. August 1946; AS R 68 /22, S. 1-2."