Der Gesprächskreis Homosexualität

der Ev. Advent-Kirche Berlin-Prenzlauer Berg
war Initiator der Gedenktafel für die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus.

Totgeschlagen - Totgeschwiegen -
den homosexuellen Opfern
des Nationalsozialismus

Gedenktafel für die Homosexuellen Opfer - KZ Sachsenhausen

Gedenkbuch

für die bisher namentlich bekannten ermordeten Homosexuellen des KZ Sachsenhausen & des Männerlagers im KZ Ravensbrück

Paul O'Montis (bürgerlich Paul Wendel)

Rosa Winkel 25131

Kein Stolperstein vorhanden.
Geboren am: 03.04.1894
Geburtsort: Újpest | b. Budapest (Ungarn)
Ermordet am: 17.07.1940
Beisetzungsort: ⟩  Begräbnisstätte und Erinnerungsort auf dem Friedhof Altglienicke

Ein Schriftzug auf der Glaswand der Erinnerungen erinnert mit seinen bürgerlichen Namen.

Schriftzug Paul Wendel

Verlegeort:  
Initiator:  
Zum Lebensweg:

Werbepostkarte Paul O'Montis

 🔎 Werbepostkarte Paul O'Montis

Der als Paul O’Montis bekannte Künstler wurde am 3. April 1894 als Paul Emanuel Wendel in der ungarischen Ortschaft Újpest geboren – so lautet der Eintrag im Geburtsregister der Lutherischen Kirche in Újpest. (Nationalarchiv Budapest, Mikrofilm Nr. X2141, Box Nr. A0009 (HU BFL XV. 20.2 Evangélikus anyakönyvek, Budapest-Újpest, keresztelési anyakönyv 1886–1895, 16/1894, Wendel Pál Manó). ⟩  Újpest (Neu-Pest) wurde 1907 zur eigenständigen Stadt erhoben und 1950 nach Budapest eingemeindet.1

Seine nächste Lebenstation war um 1901/02 die Hafenstadt Riga im russischen Zarenreich. In Riga trat er bereits als Jugendlicher künstlerisch in Erscheinung. Nach seiner Zivilinternierung in Sibirien infolge des Ersten Weltkriegs trat er auch in Riga 1918 zum ersten Mal unter seinem Künstlernamen "O'Montis" auf.

Um 1919 zog er nach Berlin, versuchte sein Glück als Librettist, Autor, Illustrator. Er tingelte als Kabarettsänger quer durch die neue Republik. Im Jahr 1926 hatte er sich in Berlin schließlich einen Namen gemacht, er trat im Radio auf, 1927 folgte der erste Plattenvertrag. O'Montis galt als Meister der leisen Töne, wurde als Chansonnier gefeiert. Er gehörte zu den ersten, die Homo- und Bisexualität bzw. Transidentität auf Tonträger thematisieren konnten. Seine Vortragskunst modernisierte den auf Schallplatten aufgezeichneten kabarettistischen Vortrag und setzte neue Maßstäbe.

Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten blieb er zunächst in Deutschland. Paul O’Montis hatte seinen letzten großen Aufritt in Köln, wo er vom 1. bis 15. Dezember 1935 im Rahmen eines groß angekündigten Kabarett-Festspiels im Kaiserhof engagiert war. Beenden konnte er sein Gastspiel allerdings nicht mehr. Zwei Tage vor Ablauf der Spielzeit wurde er von der Kölner Kriminalpolizei auf der Grundlage des § 175 RStGB festgenommen und auf Haftbefehl des Untersuchungsrichters in das Kölner Gefängnis
⟩  Klingelpütz gebracht. So berichtete es das „Amtliche Organ der NSDAP“ Westdeutscher Beobachter vom 23.12.1933 2

Nach verbüßten eineinhalb Jahren Haft floh O'Montis aus Nazideutschland, zunächst in die Schweiz, dann nach Österreich, wo er 1937 seine letzte Schallplatte aufnahm, schließlich in die Tschechoslowakei. In dieser Zeit gastierte er auch in den Niederlanden und Kroatien. Seine letzte Wohnadresse war in Prag,⟩ Fügnerplatz 6 (Fügnerovo námestí). Am 15. März 1939 besetzten die faschistischen Truppen den Rest der Tschechoslowakei und O'Montis geriet in die Fänge der Nationalsozialisten. Er wurde verhaftet und verbrachte fast ein Jahr wahrscheinlich in einem Prager Gefängnis.

Am 30.Mai 1940 wurde O’Montis schließlich unter der Häftlingsnummer 25131 in das Konzentrationslager Sachsenhausen eingeliefert und in Block 35 eingewiesen. Block 35 gehörte zur sogenannten „Isolierung3. Dabei handelte es sich um sechs Häftlingsbaracken, die vom restlichen Lager mit einem Zaun abgetrennt waren. Neben Homosexuellen, darunter auch jüdische Homosexuelle, wurden dort sowjetische Kriegsgefangene, sogenannte „Bibelforscher“, also auch Zeugen Jehovas, und andere Häftlingsgruppen gefangen gehalten.

Einen Monat nach seiner Einlieferung wurde Paul O'Montis ermordet: 17. Juli 1940 um 2 Uhr »Freitod durch Erhängen«, so wird sein Tod in der Sterbeurkunde bescheinigt. Damit sollte der Tod, der Mord an den einst auch in der Berliner Skala gefeierten Künstlers Paul O'Montis vertuscht werden.4

⟩ Emil Büge (Funktionshäftling in der Politischen Abteilung der Lagerkommandantur) nennt in einer Namensliste von rund 60 Männern aus unterschiedlichen Haftgruppen in seinem ausführlichen Kapitel mit der Überschrift »Erschossene, Gehängte und Selbstmörder« ihn »Paul Wendrel«. Darin merkt Büge an: »bei einigen Selbstmorden, die in der SK vorgenommen sind, ist die Annahme wohl begründet, daß es sich nicht um solche handelt, sondern dass die Leute auf Befehl von Ficker und dem vielleicht noch schlimmeren Bugdale gehängt wurden.« 5

Der politische Häftling Robert Brink (Ende 1938 bis September 1940 Blockältester und Lagerältester der Isolierung) berichtet in einer Eidesstattlichen Erklärung6:

»Im Block 35 befanden sich die Homosexuellen. [...] Der Blockälteste [...] mordete dauernd Leute in seinem Block. Weder die Lagerleitung, noch die SS in der Isolierung boten diesem Treiben Einhalt. Mir als Lagerältester war es von dem Leiter der Isolierung, Bugdalle, wie auch von den SS-Leuten Knittler und Ficker wiederholt streng untersagt worden, mich um diese Anngelegenheiten zu kümmern. Eines Sonntagnachmittags kam der bekannte Vortragskünstler, genannt Paul Remontes (gemeint Paul O'Monti) zu mir und bat um meinen Schutz, da ihm von Seiten des Blockältesten Ruppel angeroht worden war, er würde in der kommenden Nacht erledigt werden. ... Unter eigener Lebensgefahr ging ich am nächsten Tage, durch den in Nacht tatsächlich erfolgten Mord an Paul Remontes erbittert und ermutigt, zu Bugdalle hin.«
Brink konnte wohl die Ablösung Ruppels, doch nicht das Ende des Mordens, erreichen.


Paul Wendel

 🔎 Paul Wendel
3. 4. 1894 - 17. 7. 1940

(Foto: © Lothar Dönitz, 2022)

Am 22. Juli wurde seine Leiche im KZ Sachsenhausen eingeäschert und am 18. Dezember auf dem ⟩  Städt. Friedhof Berlin-Altglienicke, Schönefelder Chaussse 100 im Urnen-Sammelgrab, Abteilung U1/U2 Nr. 162 vergraben.

Dort wurden über 1360 Opfer aus verschiedenen Konzentrationslagern, T4-Mordstätten und der Hinrichtunggstätte Plötzenssee beigesetzt. Unter diesen Opfern befinden sich neben Paul O'Montis mehr als 40 Homosexuelle aus dem KZ Sachsenhausen. Seit DDR Zeiten, etwa 1950, erinnerte dort ein Gedenkstein:

»Den 1284 Ermordeten Antifaschisten deren Asche hier bestattet ist

Im November 2018 wurde ein Wettbewerb zur Gestaltung der Begräbnisstätte und Erinnerungsort auf dem Friedhof Altglienicke ausgeschrieben. Das Urnenfeld wurde neugestaltet, eine Glaswand mit den Namen errichtet. Die Baumaßnahmen wurden 2021 beendet und am 27. September 2021 wurde ⟩  die Begräbnisstätte und der Erinnerungsort eingeweiht.

Die homosexuellen Opfer werden verschwiegen.
Wie der alte Gedenkstein so auch im Text der neuen Informationstafel »...Die Opfer - Angehörige verschiedener Nationalitäten, Glaubensrichtungen und ethnischer Zugehörigkeiten - waren Häftlinge aus den Konzentrationslagern Buchenwald, Dachau, Sachsenhausen ...« so auch in einem ⟩  Beitrag des Radiosenders rbb kultur, 12.10.2019. Und kein Gedenkbuch die homosexuellen Opfer?!


Beliebt bei ...

 🔎 Bild: Buchtitel

Der Schulpfarrer Ralf Jörg Raber (Essen) widmet sich mit einer detailreichen Biografie dem im KZ Sachsenhausen ermordeten Paul O’Montis.

»Beliebt bei älteren Damen und jüngeren Herrn«.

📖 Lesen Sie: Paul O’Montis – Biografie eines Vortragskünstlers, Metropol Verlag, 2021, ISBN: 978-3-86331-578-8; ISBN: 978-3-86331-579-5 (E-Book)

Dank dieser Biografie konnte ich die biografischen Angaben vervollständigen. Das Buch, bringt sehr viel Licht in das bisher wenig bekannte Leben und korrigiert Falschinformatioen über seinen angeblichen Geburtsort Budapest, über seine angebliche jüdische Abstamung und ...

♫ Hören Sie: Die Baltische Stunde ... Musik und Informationen aus Estland, Lettland und Litauen ⟩ www.baltische-stunde.de:
Am 28. September 2021 Albert Caspari und Ralf Raber im Gespräch über »Paul O’Montis war damals in Riga ein Begriff!«
hier die ⟩  1. Stunde (54.9 MB - 59:59)
und die ⟩  2. Stunde (54.9 MB - 59:59)

Im Gedenkbuch Paul O'Montis zwei Musiktitel:

Parlophone KADDISCH Paul O'Montis

 🔎 Bild: Sammlung Ralf Jörg Raber

Das »Kaddisch«, von Kurt Robitschek und Otto Stransky, aufgenommen am 26. Juni 1928, am Flügel Ralph Erwin. Darin wird die Geschichte vom (ost-)jüdischen Jankel dem Dorfschmied besungen, der zu den Soldaten muß, und dessen Frau vom Rabbi die Mitteilung erhält, dass ihr Mann gefallen ist. Im Gedenkbuch Paul O'Montis wurde dieses Lied bei unseren Kranzniederlegungen ⟩  Gesprächskreises Homosexualität in der Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen des Öfteren gespielt.

   ⟩ »Kaddisch«, Paul O’Montis, Text Kurt Rubitschek, Am Flügel: Ralph Erwin
Aus dem Songtext:
»... Da tritt eines Tags der Rabbi zur Tür herein
Hör zu, Esther, morgen musst du schon zum ersten Kaddisch sein!
Kaddisch – für wen, großer Gott?
Esther sei stark dein Mann ist ...
Sie weint nicht, so groß ist der Schmerz,
sie drückt nur sein Kind an ihr Herz.
Mein Kind muß beten für seinen Vater,
bei den Soldaten war er dabei.
Knie mit mir nieder;
denn er kommt nie mehr wieder,
doch groß ist unser Adonai ...«
   ⟩ »Ghetto«, Kabarett der Weimarer Republik: Paul O’Montis (Recorded 1927-1932)
Aus dem Songtext:
... Weit, weit in Polen, am Ufer des Dnestr,
da bin ich zu Haus'.
Da hatt' ich mein Weib und mein Techterle, die Esther,
die machten meinen Himmel aus.
Weil man bei uns hat nicht Handeln gekennt,
Hab ich e bíßele das Geigen gelernt,
und gab es im Dorf eine Hochzeit,
wurde gleich nach dem Fidler gerennt.

Ich bin nur ein polnisch' Jidel,
mit meine Lidel
verdien' ich mir mein Stückerl Brot.
Mein Reichtum ist meine Fidel,
mein ganzes Glück war auf den Wangen
meiner Esther bíßele rot.

Weit, weit in Polen, am Ufer des Dnestr,
ist der Krieg entbrennt.
Bei Nacht und bei Nebel bin ich mit meiner Esther
und mit mein'm Weib davongerennt.
Wochen und Wochen über Steine und Feld,
Tage und Nächte in der eisigen Kält',
das konnten die zwei nicht ertragen.
Jetzt bin ich allein auf der Welt ...

Autor: Ralf Raber, Essen; Lothar Dönitz, Berlin (2022)

Fußnoten:
1 Ralf Jörg Raber, »Beliebt bei älteren Damen und jüngeren Herren« Paul O’Montis – Biografie eines Vortragskünstlers«, Metropol Verlag, Berlin 2021, S. 9
   Überholt: Ralf Jörg Raber "Der Sänger Paul O'Montis", in Joachim Müller, Andreas Sternweiler, Homosexuelle Männer im KZ Sachsenhausen, Berlin 2000, S. 207-210
2  Ebenda, S. 156
3 Joachim Müller "Die Isolierung der Homosexuellen", Joachim Müller, Andreas Sternweiler, Homosexuelle Männer im KZ Sachsenhausen, Berlin 2000, S. 102-103
4 KZ Sachsenhausen 1936 - 1945: ⟩ Internet-Totenbuch
   Arolsen Archives, Sterbebucheintragungen über verstorbene Häftlinge des Konzentrationslagers Sachsenhausen ⟩ Signatur 10010439
5 1470 KZ-Geheimnisse, Emil Büge, Metropol Verlag, Berlin 2010, S.180 ff
6 Joachim Müller; Ebenda S. 103, 108: "Robert Brink, Bericht als eidesstattliche Erklärung vom 23. August 1946; AS R 68 /22, S. 1-2."